«Jede Moschee ist autonom»
«Wir können Moscheen keine Vorschriften machen»: Nehat Ismaili. Foto: Raisa Durandi
Publikuar më: 5 Korrik 2016
Stimmen Sie dem Sicherheitsverbund zu, dass es eine anerkannte Ausbildung für muslimische Seelsorger braucht und den Kantonen alle Namen hier tätiger Imame bekannt sein müssen?
Grundsätzlich ja. Die Ausbildung sollte in Zusammenarbeit mit muslimischen Akteuren in der Schweiz erarbeitet werden. Doch sollten Massnahmen gegen die Radikalisierung schon bei Kindern und Jugendlichen greifen, und zwar im islamischen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, wie das in Wil, Kreuzlingen und Ebikon der Fall ist. Die Kantone sind informiert, welche Imame wo tätig sind. In gewissen Kantonen müssen die Imame eine Integrationsvereinbarung unterschreiben. Damit verpflichten sie sich zum Erlernen einer Landessprache sowie zum Besuch von Integrationskursen.
In den letzten Jahren sind in den Moscheen der Union Albanischer Imame in der Schweiz (UAIS) rund 30 salafistische Imame aus Kosovo und Mazedonien aufgetreten, viele mehrmals. Ist Ihre Union eine Drehscheibe für Salafisten?
Wir haben die UAIS gegründet, um die hiesigen Imame für ihre Aufgabe in der Schweiz zu befähigen. Momentan sind wir noch nicht in der Lage, den Moscheevereinen vorzuschreiben, welche Prediger sie einladen sollen. Jede Moschee ist autonom. Wir möchten sie aber anhalten, Referenten künftig über uns einzuladen. Vor einer Woche habe ich deshalb mit dem neuen Koordinator der islamischen Gemeinschaften in Mazedonien für die Diaspora, Selver Xhemaili, gesprochen. Er soll den Austausch zwischen Mazedonien und den hiesigen albanischen Moscheen koordinieren.
Aber auch in Ihrer Moschee sind immer wieder salafistische Prediger zu Gast – zum Beispiel Shefqet Krasniqi, der zum Jihad aufgerufen hatte und 2014 verhaftet wurde.
Krasniqi ist nicht über die UAIS in die Schweiz gekommen, sondern auf Einladung von einzelnen Moscheen. Ich hatte damals vorausgehend einen Austausch mit den Sicherheitsbehörden des Kantons Aargau. Zu jener Zeit aber stand Krasniqi, Imam in Pristina, noch nicht unter Verdacht. All die Personen, die des Extremismus verdächtigt werden, sind nicht mehr willkommen.
Und ob. Salafisten gehen in Ihren Moscheen ein und aus. Etwa radikale Prediger wie Sadat Rustremi oder der berühmte Zerkerija Bajarmi.
Bajarmi ist ganz offiziell als Imam in Mazedonien angestellt. Aber wie gesagt, heute haben wir die Möglichkeit noch nicht, Moscheen zu kontrollieren und Ihnen Vorschriften zu machen.
Oft teilen Sie Referenten mit dem Islamischen Zentralrat. Sie sind ja gut bekannt mit dessen Präsidenten Nicolas Blancho.
Herr Blancho ist mit einer Albanerin verheiratet und hat Nichten und Neffen, die unsere Moschee besuchen. Er hat neulich bei uns an einer Zeremonie zum Abschluss eines Korankurses teilgenommen. Er wurde von der Familie eingeladen, nicht von uns.
Mustafa Mehmeti vom liberalen Albanischen Islamischen Dachverband (AIG) sagte zum TA, Ihre Union sei ein arabisch dominierter Clan, dem salafistischen und politischen Islam verpflichtet. Warum wollten Sie, dass er die Aussage zurücknimmt?
Das war für uns eine schwerwiegende Anschuldigung. Meine Aufgabe ist es, das Image der Imame zu schützen. Ich hatte mit Arben Kokale, Imam von Altendorf, gesprochen, der meinte, die AIG stehe nicht hinter Mehmetis Aussagen. Solange Mehmeti aber nicht zurücknimmt, schliessen wir daraus, dass dieser dahintersteht.
Warum hat sich die UAIS mit ihren 50 Moscheen vom offiziellen Dachverband abgespalten?
Wir haben uns nie von der AIG abgespalten, weil wir nie mit Mehmeti unter einem Dach vereint waren. Wir sahen, dass Mehmeti anders agiert und denkt als wir. Wir haben uns 2012 als eigene Union organisiert, um den Imamen in der Schweiz endlich eine Stimme zu geben. Behörden, Schulen, ja die Gesellschaft sehen die Imame als Ansprechpartner. Wir organisieren aber beispielsweise keine Pilgerfahrten nach Saudiarabien.
Das macht der albanische Imam in Zürich-Altstetten, Nebi Rexhepi.
Er hat ein privates Reisebüro. Die Union hat damit nichts zu tun.
Ihre Beziehungen zu Saudiarabien sind offensichtlich: Wie Sie haben viele Imame der Union an der Islamischen Universität Medina studiert. Neben der Islamischen Weltliga ist sie das Hauptinstrument Saudiarabiens zur Verbreitung des wahabitischen Islam.
Wie zahlreiche andere junge Männer aus Mazedonien konnte ich in Medina studieren. Viele meiner Professoren in Mazedonien haben in Medina studiert, auch in Riad oder Kairo. Als ich 1998 abschloss, war ich 23-jährig. Wir waren fokussiert auf das Studium und haben nicht gewusst, was dort politisch geschieht. An der Universität war der Wahabismus nicht verbreitet. Übrigens ist Saudiarabien gegenwärtig der Staat, der am meisten Geld in den Kampf gegen die Radikalisierung und den Terrorismus investiert: Hunderte Millionen von Dollars.
An der Universität Medina haben sich bekannte Terroristen mit dem Wahabismus vertraut gemacht. Etwa Abu Muhammad al-Maqdisi, der wichtigste religiöse Vordenker der jihadistischen Bewegung.
Den kenne ich nicht. Auch Mustafa Mehmeti, von der «SonntagsZeitung» 2014 zum Schweizer des Jahres gekürt, hat in Medina studiert. Wie soll er sich denn vom Wahabismus befreit haben?
Er sagt, er habe nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 seine Gesinnung geändert.
Wir von der UAIS sind doch auch gegen diese Terroranschläge, gegen das Töten unschuldiger Menschen. Regelmässig verurteilen wir diese Untaten.
Saudiarabien investiert heute über die Islamische Weltliga Milliarden in den Aufbau von Moscheen. Werden auch Ihre Moscheen, etwa jene im sankt-gallischen Wil oder in Netstal im Kanton Glarus, von saudischen Stiftungen finanziert?
Darüber habe ich keinerlei Informationen. Als wir dieses Gebäude in Aarburg für 2 Millionen Franken kauften, forderten die Behörden, dass die Finanzierung von unseren Mitgliedern stammen müsse. Innert einer Stunde kamen von 120 Mitgliedern 800 000 Franken zusammen. Aus dem Ausland haben wir keinen Rappen erhalten, andere Moscheen der Schweiz auch nicht. Über die arabischen kann ich nichts sagen.
Finden Sie es richtig, dass der Bund die Finanzflüsse der religiösen Stiftungen überwachen soll?
Das geschieht bereits. Obwohl in der Regel nur die Stiftungen der Aufsichtsbehörde Aufschluss über ihre finanzielle Situation geben müssen. Die Vereine müssten ihre Finanzen nicht offenlegen. Im Rahmen der Aufsicht für steuerbefreite Institutionen aber werden jährlich Finanzdaten unserer Moscheen, die mehrheitlich als Vereine organisiert sind, erfasst. Unsere Moscheen werden nur von Mitgliederbeiträgen und Spenden sowie durch religiöse, kulturelle oder sportliche Aktivitäten finanziert. Bei der Bewilligung für eine Moschee stellen die kantonalen Rechtsdienste sicher, dass keine Gelder aus dem Ausland stammen.
Vor einem Jahr hat Ihre Union eine Fatwa-Kommission gegründet, um die Imame bei der religiösen Rechtsprechung zu leiten. Streben Sie eine Paralleljustiz an?
Die Kommission hat nichts mit Paralleljustiz zu tun. Wir wollen mit ihr die unterschiedlichen Rechtsmeinungen der albanischen Imame im Schweizer Kontext vereinheitlichen. Wir erhalten viele Anfragen von Menschen mit Problemen, etwa bei Ehestreitigkeiten oder einer Abtreibung. Sobald aber ein Fall vor Gericht kommt, hört unsere Funktion als Fatwa-Kommission auf.
Sie dürften sich am Europäischen Fatwa-Rat orientieren. Dessen äusserst umstrittener Gründer ist Yusuf al-Qaradawi, mit dem zusammen Sie Bücher über Fatwas herausgeben haben. Ist er Ihr Vorbild?
Nicht nur er. Ich habe mehrere Vorbilder, Professoren der Azahr-Universität etwa. Unsere Kommission hat mit dem Europäischen Fatwa-Rat nichts zu tun. Ich war früher offizieller Dolmetscher im mazedonischen Justizdepartement. Da übersetzte ich gegen Honorar für Verlage aus dem Arabischen auf Albanisch.
Sie fordern nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht. Warum?
Nicht alle Albaner sind religiös, auch nicht alle Muslime. Diejenigen aber, die das aus Frömmigkeit verlangen, sollten mit ihren Anliegen ernst genommen werden.
An Zeremonien in Moscheen der Union sind bereits kleinste Mädchen von Kopf bis Fuss verhüllt. Das passt nicht zur hiesigen Kultur.
Wieso nicht? Das spielt sich innerhalb der Moschee ab. Wir zwingen niemanden dazu. Die Mädchen sind begeistert, das Kopftuch tragen zu dürfen.
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 04.07.2016, 22:39 Uhr)