Die Ausbildung von Imamen in der Schweiz wäre sinnvoll, in der Praxis aber schwierig
Wie sieht ein Islam Schweizer Prägung aus? Der Kreuzlinger Imam Rehan Neziri (links) diskutiert mit PD Dr. Hansjörg Schmid, Leiter des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft.
Publikuar më: 8 Korrik 2016
Fälle wie diese gibt es immer wieder: Zwei muslimische Brüder verweigern ihrer Lehrerin aus religiösen Gründen den Handschlag. Oder muslimische Eltern verbieten ihren Kindern, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Zu Unrecht, sagt der Kreuzlinger Imam Rehan Neziri. Viele Muslime seien einfach unsicher, was sie aufgrund ihrer Religion in der Schweiz tun dürfen und was nicht. Wenn Neziri mit seinen Schülern einen Ausflug in eine Kirche plant, fragen die Kinder immer wieder, ob sie überhaupt dort reingehen dürfen. «Selbstverständlich», sagt Neziri. Schliesslich sollen die Kinder den Unterschied zwischen einer Moschee und einer Kirche kennen.
Solche Ausflüge dürften in der Schweiz die Ausnahme sein. Nur wenige Gemeinden bieten Islamunterricht an. Und nicht alle Imame kennen sich mit den Gepflogenheiten in unserem Land so gut aus wie Neziri. Manche Imame verstehen nicht einmal die Amtssprache. Imame aus der Türkei etwa werden nur für wenige Jahre in die Schweiz geschickt.
Erwartungen sind gross
Dass mangelnde Sprachkenntnisse ein Problem sind, hat Neziri schnell gemerkt. Viele Jugendliche seiner albanisch-islamischen Gemeinde verstanden sein Hochalbanisch nicht, sondern nur Mundart. Schnell war klar: «Ich muss die deutsche Sprache lernen.»
Das war vor 14 Jahren. Heute spricht Neziri perfekt Deutsch mit leichtem Akzent. Doch damit ist es nicht getan: Der Imam erinnert sich noch genau daran, wie ihn Eltern am Anfang seiner Zeit in der Schweiz fragten, ob sie ihr Kind mit zum Lager schicken dürften und wie es mit dem gemischten Schwimmunterricht sei.
«Ich wusste damals noch nicht, was ein Lager ist», so Neziri. Doch beim Schwimmunterricht war der Fall für ihn klar: «Den Schwimmunterricht muss man besuchen.» Zum einen sei er Teil des Unterrichts und zum anderen finde er vor der Pubertät statt. Kinder müssten bei uns nicht streng muslimisch leben.
Ein Imam in der Schweiz steht noch vor ganz anderen Herausforderungen als ein Imam in seinem Heimatland, sagt Neziri. Ob er sich bewusst gewesen sei, auf welches Abenteuer er sich eingelassen hat, fragte die ehemalige Zürcher Kantonsrätin Sabine Ziegler, die das Gespräch moderierte. «Nein», gibt Neziri zu. «Ich weiss auch nicht, ob ich mich sonst darauf eingelassen hätte.»
Integrationslotsen und Hassprediger
Denn Imam sei ein 24-Stunden-Job. Er ist auch Sozialarbeiter, Jugendbetreuer, Seelsorger und Lehrer. Auch nachts ist ein Imam auf Abruf. Wenn jemand im Sterben liegt, klingelt bei ihm das Telefon.
«Imame sind oft überlastet», sagt PD Dr. Hansjörg Schmid. Der katholische Theologe leitet das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Fribourg. Sie seien Schlüsselpersonen und Integrationslotsen. Das ist nicht immer dankbar. Bei politischen Diskussionen müssten sie immer wieder in die «Arena», so Schmid. Und in den Medien wird über Imame meist im Zusammenhang mit Hasspredigern berichtet.
Das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft forscht, wie ein Islam in der Schweiz mit immerhin 400‘000 Muslimen aussehen kann. Sein Weiterbildungsangebot richtet sich unter anderem an Sozialarbeiter, Lehrer, aber auch an Imame und Muslime, die sich gesellschaftlich engagieren. «Sie können auch zu uns kommen», lud der Theologe das Publikum ein. Im Herbst steht ein Seminar zum Thema Geschlechterrollen im Islam auf dem Programm.
Länderübergreifende Imam-Ausbildung
Bei den Imamen sei das Interesse gross, sagt Schmid. Warum also nicht gleich die Imame in der Schweiz ausbilden? «Das wäre sinnvoll», sagt Neziri. Schliesslich hätten auch kleine Balkan-Länder ihre eigenen Fakultäten. Warum also nicht auch die Schweiz?
Der Bedarf sei bei nur 200 Imamen in der gesamten Schweiz zu gering, glaubt Schmid. Zudem gibt es bei drei Landessprachen ein Sprachproblem. Realistischer seien Kooperationen mit anderen Instituten in Deutschland oder Österreich. In Baden-Württemberg gibt es seit 2006 einen Modellversuch für Islamunterricht an Schulen. Die Lehrer dafür werden unter anderem an der Pädagogischen Hochschule im oberschwäbischen Weingarten ausgebildet. Tübingen bietet als erste deutsche Uni eine Imam-Ausbildung an.
Zyklus «Die Muslime in der Schweiz – und ihre Integration»; Unternehmerisches Gespräch vom 28. Juni 2016 «Ausbildung von Imamen in der Schweiz? Die Rolle der islamischen Gemeinschaften»; mit PD Dr. Hansjörg Schmid, Leiter Schweizerisches Zentrum für Islam und Gesellschaft, Universität Freiburg, und Rehan Neziri, Imam, albanisch-islamische Gemeinschaft Kreuzlingen; Moderation: Sabine Ziegler, ehemalige Kantonsrätin (SP), Zürich; Zusammenfassung: Kerstin Conz.
Die Referenten
Rehan Neziri
Rehan Neziri kam 2002 als Imam der albanisch-islamischen Gemeinde nach Kreuzlingen. Er stammt aus einer religiösen Familie und hat in der Türkei studiert. Der Vater von drei Kindern war stark an der Einführung eines muslimischen Religionsunterrichts in Kreuzlingen beteiligt. «Im Islam sind der Mann und die Frau gleichgestellt», sagte Neziri einmal. Diese Lehre leite er an seine Schüler weiter. Die Albanisch-Islamische Gemeinschaft ist als Verein mit eigenen Statuten organisiert. Darin steht: «Extremismus und/oder Fanatismus jeglicher Art werden weder toleriert noch unterstützt.»
Hansjörg Schmid
Hansjörg Schmid ist katholischer Theologe und Sozialethiker. Er hat in Freiburg, Jerusalem und Basel studiert und leitet das 2015 gegründete Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Fribourg. Kaum eröffnet, setzte sich die SVP für die Schliessung des Instituts ein. Sie befürchtet, dass dort Intoleranz gelehrt und Imame ausgebildet würden. Doch darum geht es nicht. Zentrale Frage von Forschung und Weiterbildung ist die Frage, wie der Islam im Lebenskontext Schweiz verortet werden kann.
Die Autorin dieses Artikels, Kerstin Conz, wurde in Ulm geboren und zog in den 90er-Jahren während ihres Studiums nach Kreuzlingen. Nach einem Auslandstudium in England absolvierte sie ein Zeitungsvolontariat und wurde Journalistin. Als landespolitische Korrespondentin berichtete sie aus Stuttgart über Fluglärm, Steuer CDs und andere deutsch-schweizerischen Streitigkeiten. 2008 kehrte sie zur Familiengründung nach Kreuzlingen zurück. Seitdem berichtet sie freiberuflich für verschiedene Medien und arbeitete für das baden-württembergische Integrationsministerium. 2011 begleitete Kerstin Conz den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bei seinem ersten Staatsbesuch in den Aargau. Nach dem Streit um den Schülertourismus an der Grenze 2014 beschloss sie, selbst etwas zur Nachbarschaftspflege beizutragen und rief zusammen mit dem Ellenrieder Gymnasium, der Kreuzlinger Kantonsschule und dem Lilienberg Unternehmerforum das grenzübergreifende Start-up Projekt «Jung am Start» ins Leben.
Quelle: www.lilienberg.ch